Jason Collett im Le Bourg

Wie ein kleines Stückchen Berlin mitten in den Schweizer Alpen erscheint das Café-Théâtre Le Bourg. „Café-Théâtre“ meint hierbei eine Bar mit täglich wechselndem Kulturprogramm: Lesungen, Poetry Slams, politische Diskussionen, Improvisationstheater, Konzerte, Tanzabende. Von der Straße mit den teuren Geschäften aus, zwischen Mc Donald’s und Steakhouse steigt man eine schmale Treppe hinauf und landet direkt in einem kleinen Vorraum mit Kasse und Bar, dahinter eröffnet sich ein länglicher rechteckiger Raum, dunkel, schwarz-rosa Blumentapete, mit kleinen Tischchen, Teelichte, ziemlich bequeme Lederbänke und armlehnenlose Sessel, am Ende eine Bühne, gerade so groß, dass eine Band mit Schlagzeug, Keyboard, Gitarren, Bass und Sänger drauf passt, schwarze Holzvertäfelung, hohe Decke. Die Leute, die im Le Bourg arbeiten, sind jung und cool und freundlich – karierte Hemden, Lederjacken, auffällige Brillen.

Am 9. März 2011 im Le Bourg: Jason Collett aus Kanada. Zunächst stellt sich heraus, dass das auf der Bühne aufgebaute Equipment zur Vorband des Abends gehört: Saibu aus Paris. Eine Art poppiger Folkrock mit englischen Texten, nichtssagenden Melodien, einem mittelmäßigen Sänger. Mit einem guten Bier würde man wohl sagen: Ganz nett. Da Saibu aber an diesem Abend in der Schweiz auftreten, sagt man eher: Oh je. Sie schlagen sich wacker, spielen auf den Punkt 30 Minuten, und alle sind froh, als sie einen der hinteren Tische im Zuschauerraum belegen.

Danach keine Hintergrundmusik mehr aus der Konserve, vielleicht liegt es also auch genau daran, dass man den dünnen Mann im karierten Hemd kein bisschen beachtet, der mit einer Gibson auf die Bühne steigt, die Gitarre anschließt, ein bisschen an den Wirbeln dreht, ein bisschen hin und her läuft, gegen das Mikro klopft; man kennt das ja. Das ist der, der kurz vorm Auftritt des Hauptkünstlers über die Bühne schleicht, alles richtet, und dabei fachmännisch und ernst, vielleicht aber auch etwas verlegen, auf den Bühnenboden samt Kabeln starrt. Aber plötzlich: Geht das Bühnenlicht an, der dünne Mann im karierten Hemd bleibt, wo er ist und – fängt an zu singen. Ein Musiker, der es schafft, sich unerkannt auf seine eigene Bühne zu schleichen.

Jason Collett hat seine Band nicht nach Europa mitgebracht; er ist ganz solo, nur er und seine Gitarre, seine Texte, seine Songs, und die so anders als auf den Alben. Es macht Spaß, ihm zuzusehen, zuzusehen, wie die Musik ganz reduziert und trotzdem so eindrucksvoll entsteht; man kann sich leicht vorstellen, wie er in Kanada auf der Holzveranda seines Hauses in einem kanadischen Wald an einem kanadischen See sitzt, ein Bein ganz lässig auf den Holzstufen zur Holzveranda, neben ihm ein großer Hund mit viel Fell, und wie er mit eben dieser Gitarre dort in der Hand seine Lieder singt. In die kanadische Einsamkeit, in die Lausanner Nacht. Besonders im Direktvergleich zu der bemühten Pariser Vorband, spürt man ganz deutlich: Er hat’s einfach drauf. Und so besticht er trotz oder vielleicht gerade wegen puristischer Akustik-Performance vor allem durch seine Präsenz. Seine Stimme. Seine Songs. Und auch wenn man ihn zunächst kaum beachtet hatte, kann man sich plötzlich dem dünnen Mann auf der Bühne kein bisschen mehr entziehen.

Das Le Bourg gefällt ihm, wir als Schweizer Publikum seien uns dessen schon gar nicht mehr bewusst, aber dieser Ort hätte wirklich Klasse, Teelichte und alles, hohe Decken: „I wished this was my basement.“ Wie lange man von Paris nach Lausanne bräuchte? Saibu meint: Sechs Stunden. Jason Collett lacht. Er kommt aus Kanada. Da wäre das einmal Milchholen. Und dann singt er wieder. Eins seiner Lieder widmet er dem deutschen (Ex-)Verteidigungsminister, Guttenberg: „Don’t let the truth get to you“.

Die Lausanner sind oft ein merkwürdiges Publikum. Am Ende des Konzerts ist vielleicht schon ein Viertel der Zuhörer gegangen, aber Collett scheint es gelassen zu nehmen. Er steht etwas einsam mit einem Bier in der Hand neben dem kleinen Merchandise-Tisch, gegen die Bar gelehnt. Sein neues Album ist ausverkauft, also lasse ich mir ein kleines Tour-Plakat signieren. Er will wissen, wie ich heiße. Wo ich herkomme, was ich in der Schweiz mache. Er könne verstehen, dass ich länger hier geblieben bin als zunächst geplant: „Everything’s just beautiful. Everything looks so perfect.“ Und Literaturwissenschaft sei ziemlich cool. Er sagt, dass er Berlin liebt und überhaupt gern nach Europa kommt, aber nur kurz, für Drei-Wochen-Touren, ansonsten sei es zu anstrengend, deswegen lässt er seine Band gerne mal in den kanadischen Wäldern. Er erzählt mir von seinem letzten Auftritt in Wien und noch mehr von Kanada und von der Sängerin Feist. Er kommt bald wieder nach Deutschland und vielleicht auch in die Schweiz, und vielleicht komme auch ich wieder. Ich verabschiede mich von dem dünnen Mann, weil ich den letzten Zug nach Hause bekommen muss. Er sagt, ich soll die Schweiz genießen und dann nach Berlin zurückkehren. Vielleicht sagt er das, weil nicht jeder in eben so perfekt und schön lange leben kann. Richtig leben. Und weil ich das auch weiß, sage ich: Das mache ich, und dann lasse ich ihn weiter einsam an der Bar stehen, mit einem Bier in der Hand, neben seinem kleinen Merchandise-Tisch.

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